top of page

Die Fakten:

Baubeginn: August 2021

Bauende: Ende 2024

Kosten: ca. 5.800.000 €

Projektnummer: 8.68547040


"Die Augustaanlage ist Bestandteil des Hauptroutennetzes der Stadt Mannheim und wurde mit der Beschlussvorlage Nr. 413/2011 am 11.10.2011 in das Rad-Lückenschlussprogramm aufgenommen." [1]


So beginnt die stadteigene Projektdokumentation. Positiv zu erwähnen ist, dass diese Dokumentation [2] existiert. Transparenz bezüglich der Baumaßnahme gab es die längste Zeit in Mannheim nicht und diese zarten Versuche, Licht ins Dunkel zu bringen sind überfällig.


2011 zum Hauptroutennetz erklärt - 2023 immer noch nicht fertig

Die Tatsache, dass eine 1 km lange Teilstrecke des Hauptradroutennetzes definiert und beschieden wurde, aber 12 Jahre später nicht umgesetzt ist, zeigt exemplarisch was schief läuft in Mannheim. Dieses Schneckentempo beweist, dass die Radinfrastruktur ohne Priorität bearbeitet wird. Im Gegensatz zu dieser wichtigen Radinfrastrukturmaßnahme war es kein Problem, die Autobahnzufahrt Wilhelm-Varnholt-Allee ruckzuck für 1,4 Mio. € zu sanieren und rechtzeitig zum Buga-Beginn im April 2023 abzuschließen. [3]


Nicht nur ist das Projekt 2023 nicht abgeschlossen, es wird auch noch pausiert: Mit Abschluss der Arbeiten geht die Baumaßnahme nun in die Buga-Pause. Die Bundesgartenschau 2023 findet vom 14. April bis 08. Oktober 2023 in Mannheim statt. Im Jahr 2024 wird dann der letzte Abschnitt in der Augustaanlage - von der Mollstraße bis zum Friedrichsplatz - umgebaut. [4]

Warum die Baumaßnahme derzeit pausiert, wird nicht ausgeführt. Vermutlich geht die Überlegung auf eine zynische Haltung zurück: Während die Buga läuft, darf der Kfz-Verkehr nicht behindert werden und Mannheim soll nicht als Baustelle erscheinen. Der Ansatz, Verkehr nicht zu behindern, scheint nur für den Kfz-Verkehr zu gelten. Beim Radverkehr scheint es kein Problem zu sein, absurde Beschilderungen und Einschränkungen monatelang aufzustellen. Im Zweifelsfall kommt eins der "Radfahrer absteigen"-Schilder zum Einsatz.

Aus Sicht der Radfahrer*innen, die in der Konsequenz nun am Friedrichsplatz stadtauswärts in den lebensbedrohlichen Fließverkehr ausweichen müssen, da der Radweg dort unvermittelt im Nichts endet, ist das inakzeptabel.

Friedrichsplatz kurz vor Augustaanlage: Radweg endet ohne Vorwarnung im Nichts. Radfahrer*innen ist angeraten, sich an dieser Stelle in Luft aufzulösen. Wenn ein Bus oder SUV von hinten angedüst kommt, kann das schnell tödlich enden. Bildquelle: QEM

Woher der Wind gedanklich weht, ist folgenden Statements zu entnehmen:

- soll für den motorisierten Individualverkehr die aktuell erreichte Leistungsfähigkeit erhalten bleiben

- Die Leistungsfähigkeit des motorisierten Verkehrs sowie die Anzahl der Parkstände erfahren durch die Einrichtung des Radfahrstreifens keine nennenswerten Einschränkungen. [1]

Keine Einschränkungen für den Kfz-Verkehr, keine Reduzierung der Parkstände - das scheinen die Prämissen zu sein, unter denen die Verwaltung agiert.


Inakzeptable Priorisierung

Es ist unverständlich, warum wissentlich die Sicherheit von schwächeren Verkehrsteilnehmern aufs Spiel gesetzt wird, nur um der Wirtschaft eine Gefälligkeit zu erweisen. Die bisherigen Baumaßnahmen im Rahmen des Bauprojektes brachten leichte temporäre Einschränkungen für den Kfz- und Radverkehr mit sich, haben aber weder die Erreichbarkeit noch die Passierbarkeit verhindert.

Möglicherweise gab es Absprachen mit der IHK, während der Buga Baustellen zu vermeiden. Wie handlungsfähig eine Verwaltung sein kann, wenn sie will, wurde zum Buga-Start unter Beweis gestellt: Die Neugestaltung des Vorplatzes des Hauptbahnhofs, sowie die Sanierung der Wilhem-Varnholt-Allee sind zwei Beispiele für diese Leistungsfähigkeit.


Die Baumaßnahme an einer so gefährlichen Stelle zu pausieren, damit Autofahrer*innen über die Dauer der Buga störungsfrei über die Augustaanlage düsen können, möchten wir nicht unkommentiert hinnehmen.



Unterstütze unser Bürgerbegehren. Dein Rückporto übernehmen wir: https://innn.it/QuadRadEntscheid-Mannheim


Komm zu uns auf Signal



[1] https://mannheim.de/de/service-bieten/umwelt/stadtraumservice-mannheim/planung-und-bau/grossprojekte-und-aktuelle-planungen/radweg-augustaanlage

[2] https://mannheim.de/de/service-bieten/umwelt/stadtraumservice-mannheim/planung-und-bau/baumassnahmen-und-verkehrseinschraenkungen

[3] https://mannheim.de/de/presse/aufwertung-des-mannheimer-stadteingangs-sanierung-der-wilhelm-varnholt-allee

[4] https://mannheim.de/de/presse/augustaanlage-abschluss-der-arbeiten-an-den-radwegen



262 Ansichten

Die Ortsgruppe des VCD Rhein-Neckar hat fünf Wahlprüfsteine zur Verkehrspolitik erarbeitet [1]. Von den acht angeschriebenen Kandidat*innen haben nur drei geantwortet - und zwar Isabell Belser (Die Linke), Tanja Krone (Parteilos) und Thorsten Riehle (SPD).

Zur Stichwahl am 09.07.2023 treten Christian Specht (CDU), Thorsten Riehle (SPD) und Ugur Cakir (Parteilos) an. Dass Christian Specht, als einer der aussichtsreichen Kandidaten, es nicht für nötig hält, die Wahlprüfsteine einer zivilgesellschaftlichen Organisation zu verkehrspolitischen Themen zu beantworten, sendet ein fatales Signal in Richtung Verkehrswende. Das Ignorieren der VCD-Anfrage bringt eine Geringschätzung für zivilgesellschaftliches Engagement zum Ausdruck, die uns Angst macht. Denn gerade in Zeiten, in denen Populisten und Rechte in Deutschland auf Stimmenfang sind, ist jede Stärkung der gesellschaftlichen Mitte wichtig. Überrrascht waren wir, dass auch von Raymond Fojkar keine Antwort einging.


Da von den drei Kandidat*innen nur noch Thorsten Riehle im Rennen ist, geben wir hier die Wahlprüfsteine mit Antworten von Thorsten Riehle wieder.



Wahlprüfstein 1: Vision Zero und stadtweites Tempo 30?

Die Verkehrspolitik der Stadt Mannheim verfolgt das Ziel der vision-zero (keine Verkehrstoten). Sie setzt hierbei laut Aussage von Dezernat 1 darauf, die Kinder so früh wie möglich auf den motorisierten Straßenverkehr vorzubereiten. Müsste aber nicht der Straßenverkehr so angepasst werden, dass er nicht mehr tödlich für Kinder ist, z.B. durch stadtweites Tempo 30? Welcher Ansatz wird mit Ihnen als OB verfolgt?


Thorsten Riehle: Für mich sind beide Aspekte wichtig. Wir brauchen eine gute Verkehrserziehung für unsere Kinder ab einem frühen Alter. Nicht nur, damit sie an die Verkehrsregeln und Eigenheiten des Straßenverkehrs herangeführt werden und verschiedene Situationen kennenlernen können, um sie später sicher meistern zu können. Auch eine entsprechende Wertevermittlung soll sie für Rücksichtnahme, Einsicht und Verantwortungsbewusstsein im Straßenverkehr sensibilisieren. Parallel dazu brauchen wir aber mehr Tempo-30-Zonen, die neben der Absenkung der Lärm- und Umweltbelastung auch maßgeblich zur Verkehrssicherheit beitragen. Mannheim beteiligt sich bereits an der Initiative des Deutschen Städtetags für mehr Mitsprache bei der Festlegung von Tempolimits, was ich ausdrücklich begrüße und für mich politisches Ziel ist, nämlich alle innerstädtischen Straßen auf 30 km/h zu reglementieren und nur noch für die Durchfahrtsachsen höhere Geschwindigkeiten zu erlauben. Diesen Weg gilt es weiter zu verfolgen.


Wahlprüfstein 2: Stärkung Schienenverkehr?

Der regionale Schienenverkehr ist das Rückgrat einer wirklichen Verkehrswende. Hierzu sind Kapazitätserweiterungen notwendig. Die Stadt Mannheim klagt aber gegen die Reaktivierung des für einen S-Bahnausbau erforderlichen zweiten Gleises auf der östlichen Riedbahn, um einen Tunnel für den Güterverkehr zu erzwingen. Am umgebauten Bahnhof Käfertal wird nach der BUGA wieder kaum ein Zug halten. Wird diese Verkehrspolitik mit Ihnen als OB aufrechterhalten?


Thorsten Riehle: Der regionale Eisenbahnverkehr muss gestärkt werden, denn kein anderes Verkehrsmittel ist derart sicher, sauber und effizient. So setze ich mich als Oberbürgermeister insbesondere für einen umfangreichen Ausbau des ÖPNV ein. Verkehrsgeräusche und -lärm nehmen allerdings nachweislich auch Einfluss auf die Lebensqualität in unserer Stadt. Im Falle der Wiederinbetriebnahme des zweiten Gleises auf der östlichen Riedbahn muss ein stadt- und lärmverträgliches Gesamtkonzept Anwendung finden, im Zuge dessen mögliche Tunnel- und Umfahrungsvarianten zu favorisieren sind. Hierzu gehört für mich aber eben auch ein ausreichender Lärmschutz für die Anwohner*innen, die Klage soll dies ermöglichen.


Wahlprüfstein 3: Innerstädtischer ÖPNV?

Für den städtischen Tram/Bus-Verkehr wurde schon in den letzten beiden Nahverkehrsplänen ein 10-Minuten-Takt in allen Stadtteilen als wichtige Maßnahme aufgenommen. Die Finanzierung hierfür wurde aber nie sichergestellt. Wie wird der Finanzbedarf für diese Maßnahme mit Ihnen als OB sichergestellt?

Thorsten Riehle: Diese Maßnahme werden wir alleine aus städtischen Mitteln nicht auskömmlich finanzieren können. Deshalb muss es die politische Botschaft an Land und Bund sein, die Regionalisierungsmittel auskömmlicher zu gestalten. Wer die Verkehrswende ernst nimmt, kommt nicht umhin, hier deutlich mehr zu investieren. Das ist allen politischen Ebenen klar. Deshalb wäre es für mich notwendig, gemeinsam mit den anderen Kommunen diesen Druck weiter aufzubauen.


Wahlprüfstein 4: Verkehrsversuch / Verkehrsberuhigung der Quadrate

Der Mannheimer „Verkehrsversuch“ konnte dieses Jahr erfolgreich beendet werden. Die Ziele, u.a. eine Reduktion des MIV Durchgangsverkehrs in den Quadraten, eine Verlagerung des MIV auf den Ring und eine Erhöhung der Radnutzung, konnten alle erreicht werden. Wird dies mit Ihnen als OB der Auftakt einer dauerhaften und flächendeckenden MIV-Verkehrsberuhigung in den Quadraten sein?


Thorsten Riehle: Eine Stadt lebt von der Mobilität. Das zentrale Anliegen des Verkehrsversuchs war es, den Zielverkehren eine direkte Anfahrt der Parkhäuser zu gewährleisten und den Poser- und Durchgangsverkehr, der die Straßen der Innenstadt immens belastet hat, draußen zu halten. Mobilität bedeutet beispielsweise aber auch, die Möglichkeit zu haben, sich mit dem Fahrrad sicher durch das Stadtzentrum bewegen zu können. Dieses Angebot haben im Zuge des Verkehrsversuchs – das zeigten die Zahlen – bis zu zwei Drittel mehr Menschen wahrgenommen. Meine Haltung in Bezug auf die Innenstadt ist ganz klar: Wir müssen alles dafür tun, um die Zielverkehre zu stärken, gleichzeitig Freiflächen mit Aufenthaltsqualitäten zu ermöglichen und sicheren Rad- und Fußverkehr zu gewährleisten. Das ist weit mehr als nur der bisherige Verkehrsversuch vorgesehen hat. Das bedeutet selbstverständlich auch mehr als eine Schranke und ein paar Warnbaken, hier braucht es konkrete Bautätigkeiten.


Wahlprüfstein 5: Flächengerechtigkeit und Erhöhung Anteil Radverkehr im Mobilitätsmix

Der Anteil des Fahrradverkehrs im Mobilitätsmix soll erhöht werden, wie z.B. im Leitbild 2030 oder Klimaschutzaktionsplan der Stadt Mannheim konstatiert. Eine Verbesserung der Fahrradinfrastruktur kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Die gesamte Fläche, die dem Verkehr zukommen kann, ist aber begrenzt. Eine Vergrößerung der Fläche für den Fahrradverkehr für z.B. breitere Fahrradstreifen bedingt häufig eine Reduzierung der Kfz-Verkehrsfläche. Die wurde bisher unter Hinweis auf notwendige Leistungsfähigkeiten im Kfz-Verkehr abgelehnt. Welche Position in dieser Frage werden Sie als OB favorisieren?


Thorsten Riehle: Ich will den Ansatz verfolgen, alle Mobilitätsformen zu stärken. So setze ich mich als Oberbürgermeister für sichere und besser ausgebaute Fahrradwege ein. In Seitenstraßen ist es häufig auch möglich, eine Radinfrastruktur zu errichten, die Radfahrenden Vorrang gibt. Insbesondere im Stadtzentrum und den Stadtteilen braucht es dabei auch konkrete Bautätigkeiten für ein besseres Radwegenetz – ggf. auch für „Protected Bike Lanes“, wo diese notwendig und sinnvoll sind. Im Zuge der Erhöhung der städtischen Verkehrssicherheit und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum ist eine Neuregelung der Flächen für alle Verkehrsteilnehmer*innen häufig unumgänglich.


Nachwort QuadRadEntscheid Mannheim - 09.07.2023 entscheidender Wahlgang

Nächsten Sonntag ist der zweite und entscheidende Wahlgang. Es ist JETZT an der Zeit, Eure Freunde, Bekannten und Angehörigen zu motivieren und nächsten Sonntag wählen zu gehen. Eine Wahlbeteiligung von unter einem Drittel ist einer aufgeklärten und selbstbestimmten Zivilgesellschaft unwürdig.

Als Kämpfer*innen für eine Verkehrswende und ein lebenswerteres Mannheim möchten wir zitieren, was Thomas Trüper auf Kommunalinfo Mannheim schreibt [2]:

Die nicht-Rechten und Progressiven müssen sich und andere für den zweiten Wahlgang mobilisieren. Da ist noch viel Luft nach oben. Es gilt, in dieser Situation den aussichtsreichsten Kandidaten des Mitte-Links-Lagers zu unterstützen, und das ist in der vorhandenen Konstellation Thorsten Riehle. Auch wenn man kein:e Parteigänger:in von Riehle ist – zum Steigbügelhalter von Specht sollte man sich nicht degradieren. Das Ringen um die richtigen Wege und Maßnahmen in der Kommunalpolitik muss danach weitergehen – aber unter besseren Ausgangsbedingungen.

Die großen Stadtteile Neckarstadt, Innenstadt/Jungbusch, Käfertal, Waldhof und Schönau mit ihren bisherigen Wahlbeteiligungen von 30% und wesentlich darunter bieten noch viel Luft nach oben für diesen Kampf gegen Rechts.


Unterstütze unser Bürgerbegehren. Dein Rückporto übernehmen wir: https://innn.it/QuadRadEntscheid-Mannheim


Komm zu uns auf Signal


[1] https://bw.vcd.org/der-vcd-in-bw/rhein-neckar/wahlpruefsteine-zur-mannheimer-ob-wahl

[2] https://kommunalinfo-mannheim.de/2023/06/21/ob-wahl-mannheim-aus-einer-linken-sicht-die-vereinte-rechte-ist-noch-nicht-am-ziel-mit-einiger-vernunft-kann-das-blatt-noch-gewendet-werden

316 Ansichten

Gastbeitrag von René Leicht, Bündnis Fahrradstadt Mannheim (BFM)


Im Bericht "Ist Mannheim eine gute Stadt für Radfahrer?" [1] ist eine Grafik enthalten, die den Eindruck vermittelt, in Mannheim hätte die Zahl der Fahrradfahrten in den letzten Jahren enorm zugenommen. Den dort abgebildeten Daten zufolge müssten sich die an den automatischen Zählstellen gemessenen Radfahrten zwischen 2017 und 2022 von 3,3 Mio. auf 6,6 Mio. verdoppelt haben! Kann das sein?

Klare Antwort: Nein, das ist ein absoluter Fake (der auch durch die im Zeitungsartikel angedeuteten Zweifel an der Aussagekraft der Daten nicht behoben wird). Wie konnte das geschehen? In der MM-Grafik wurden die für einige Zählstellen abgerufenen Jahresdaten blindlings zu einer Zeitreihe zusammengefügt – obwohl die Zählergebnisse der jeweiligen Jahre auf ganz unterschiedlichen und nicht vergleichbaren Messverfahren beruhen. Beispielsweise gab es in den Jahren 2017 und 2018 einige Zählstellen noch gar nicht, aber sie wurden trotzdem in die Grafik aufgenommen! Daher spiegelt die Zeitreihe nicht die Zahl der Radfahrten, sondern schlicht das Ergebnis der über die Jahre wachsenden Zahl an Zählstellen wider. D.h. 2017 und 2018 wurde durch viele Null-Werte ein in der Summe niedriges Ausgangsniveau erzeugt, weshalb die nachfolgenden Jahreszahlen logischerweise weit höher liegen. Hinzu kommt, dass auch die Zahlen für 2022 zum Teil durch ein statistisches Artefakt nach oben gezogen wurden (monatelange Baustellen-Umleitung über eine zuvor weniger frequentierte Zählstelle).

Nun ist zu hoffen, dass sich die falschen Zahlen nicht in die Köpfe von Politik und Verwaltung eingraben. Die dringlichen Rufe nach Verbesserungen im Radverkehr würden dann noch weniger gehört. Diese Gefahr ist real, denn schließlich wurden schon im MM-Artikel die schlechten Noten im ADFC-Klimatest durch den Hinweis auf vermeintlich steigende Radverkehrszahlen zur Debatte gestellt.

Nachfolgend wird aufgezeigt, dass die Zählstellendaten und die Ergebnisse von ADFC-Klimatest keinen Widerspruch, sondern eher einen Zusammenhang aufweisen: Denn insgesamt betrachtet gibt es keine wirklich messbaren Fortschritte im Mannheimer Radverkehr. Es zeigt sich, wenn überhaupt, allenfalls ein schwacher Anstieg der Frequenzen an wenigen Zählstellen, der jedoch den Mangel an tauglichen Radwegen nicht verdecken kann. Aus diesem Grund wird, wie andere Daten belegen, in Mannheim das Fahrrad immer noch weit seltener genutzt als in vergleichbaren Städten.


Keine valide Verbesserung im Mannheimer Radverkehr

Die Frequenzdaten der automatischen Zählstellen lassen offen, ob sich die Zahl der Radfahrenden in Mannheim in den letzten Jahren überhaupt verändert hat. Zum einen deshalb, weil die Zählstellen nur Frequenzen an ausgewählten Punkten bzw. an einigen Brücken erfassen und zum anderen keinerlei Information über Veränderungen in der Verkehrsmittelwahl bzw. über den Modal Split enthalten (siehe hierzu auch „Erläuterungen zu den Daten“).

Eine das gesamte Stadtgebiet umfassende valide Daten- bzw. Zeitreihe ließe sich mit den Zählstellendaten ohnehin nicht generieren, weil 3 der 8 Counter an den Brückenköpfen erst Ende 2018 eingerichtet wurden und die bestehenden Counter wegen Defekten zeitweise ausgefallen sind. Je nachdem welche Brückenpassagen und Referenzzeiträume man aufgrund der Einschränkungen auswählt, schwanken die Ergebnisse:

  • Eine Zeitreihe die erst nach 2018 beginnt macht keinen Sinn, weil Covid-19 und der Lockdown jeglichen Vergleich unmöglich machen.

  • Fokussiert man daher auf einen Querschnittsvergleich zwischen 2018 und 2022, dann liegen kompatible Ganzjahresergebnisse ausschließlich für die 3 Neckarbrücken vor. Demnach hätte der Radverkehr an diesen 3 Brücken um insgesamt 8 % zugenommen (Schaubild 1).

  • Möchte man in die Berechnung alle 5 Brücken über Neckar und Rhein einbeziehen, dann gelingt dies nur mit jährlichen Quartalsdaten zwischen April bis Ende September. Im Jahr 2022 wurden hier 2,898 Mio. Radfahrten registriert, was fast exakt der Zahl im Jahr 2018 entspricht. D.h. die Zahl der Radfahrten hat sich seitdem um 0,0 % bzw. gar nicht verändert (Schaubild 2).

Schaubild 1: Entwicklung der Fahrradfahrten an zentralen Brücken (ganzjährig)

Quelle: Stadt Mannheim, Geoinformation (eco-counter); eigene Berechnungen durch Bündnis Fahrradstadt

Schaubild 2: Entwicklung der Fahrradfahrten an zentralen Brücken (April bis September)

Stadt Mannheim, Geoinformation (eco-counter); eigene Berechnungen durch Bündnis Fahrradstadt

Soweit es überhaupt legitim ist, die Entwicklung des Radverkehrs (behelfsweise) mit Zählstellendaten nachzuvollziehen, spricht vieles dafür, das letztgenannte Ergebnis zu Rate zu ziehen. Nicht nur weil das Ergebnis auf einer breiteren Basis an Zählstellen beruht, sondern sich auch auf die Monate mit milderem Wetter und daher weniger Diskrepanzen bezieht.

Es ließe sich spekulieren und diskutieren, inwieweit der an einigen Stellen (Kurpfalzbrücke, Friedrich-Ebert-Brücke) urplötzliche Anstieg der Frequenzen im Jahr 2022 mit den Einschränkungen des Autoverkehrs (Baustellen, Verkehrsversuch) zusammenhängt. Naheliegend erscheint, dass der Radverkehr infolge der höheren Spritpreise (Krieg in der Ukraine) zugenommen hat. Sicher ist jedenfalls, dass dieser leichte Anstieg auf exogene Push-Faktoren und nicht auf etwaige Anreize oder Angebote im Mannheimer Radverkehr zurückzuführen ist. Dies zeigen auch nachfolgende Beobachtungen:


Mannheimer Entwicklung unterscheidet sich negativ von der in anderen Städten

Bei aller Unsicherheit darüber, welche Zählstellen und welcher Zeitraum zur Bemessung herangezogen werden müsste, ist ein weiteres Ergebnis äußerst bemerkenswert:

  • An fast allen Mannheimer Zählstellen ist die Zahl der Radfahrenden ab dem Covid-19 Jahr bis 2020/2021 tendenziell zurückgegangen.

  • Dies ist ein im Vergleich zur bundesweiten Entwicklung umgekehrter Trend, denn im Zuge der Corona-Pandemie sind in Deutschland immer mehr Menschen auf das Fahrrad umgestiegen, obwohl gleichzeitig durch homeoffice der Berufspendlerverkehr insgesamt abgenommen hat (vgl. BMDV 2023; difu 2021; Reiffer et al. 2021).

  • Eine Erklärung für diese unterschiedliche Entwicklung bietet eine mit Bicycle-Counter-Daten aus 20 europäischen Städten durchgeführte Studie (Kraus/Koch 2020). Sie zeigt auf, dass während der Corona-Pandemie all diejenigen Städte, die ihre Radverkehrsinfrastruktur rasch durch pop-up bike lanes erweitert haben, einen starken Anstieg an Fahrradfahrten registrierten.

  • Genau dies war in Mannheim nicht der Fall. Gemeinderat und Verwaltung hatten die Einrichtung von pop-up-Radwegen während der Corona-Pandemie abgelehnt.

Diese in den Corona-Jahren beobachtbare Entwicklung spiegelt gleichzeitig den Stellenwert des Mannheimer Radverkehrs im Ranking vergleichbarer deutscher Städte wider: Unter allen Städten gleicher Größe und Topographie nimmt Mannheim (zuletzt gemessen 2018) mit einem Radverkehrsanteil von 20 % einen hinteren Rang ein, während bspw. Karlsruhe einen Anteil von 36 % aufweist (Schaubild 3).


Schaubild 3: Radverkehrsanteil im Vergleich der Städte

Quelle: SrV-Erhebungen 2018; Gericke et al. 2020,. Stadt Freiburg 2017; Zusammenstellung: R. Leicht 2021

Schlechte Noten im ADFC Fahrradklima-Test verweisen auf ungenügendes Radwegenetz

Der niedrige Radverkehrsanteil in Mannheim geht mit der Feststellung einher, dass die mit dem Fahrrad zurückgelegten Wegstrecken überdurchschnittlich kurz sind. Längere Strecken, die über den eigenen Stadtteil hinausreichen, sind weit schwieriger zu bewältigen (vgl. Masterplan Mobilität, Runder Tisch v. 25.11.2021, Folie 5).

Diese Feststellung stimmt mit dem Ergebnis der im Rahmen des Masterplans Mobilität durchgeführten Online-Erhebung überein: Demnach wird von den Befragten „die Herstellung eines durchgängig befahrbaren Radroutennetzes mit deutlich breiteren und sichereren Radwegen als heute“ als die wichtigste Forderung an die Stadt Mannheim betrachtet.

Daher dürfte nicht verwundern, dass auch im ADFC-Fahrradklima-Test genau diejenigen Indikatoren als besonders schlecht bewertet wurden, die auf ein ungenügendes Radwegenetz hinweisen: Während Mannheim in der Gesamtbewertung die Note 4,0 erreicht, werden Faktoren wie „Sicherheitsgefühl“ und „Hindernisse auf Radwegen“ sowie „Fahren auf Radwegen und Radfahrstreifen“ noch schlechter bzw. mit der Note 4,5 bewertet. Noch miserabler bzw. mit der Note 4,7 oder 4,9 werden die „Oberfläche der Radwege“ und die „Breite der Radwege“ beurteilt.


Fazit und Ausblick

Alle verfügbaren Daten zum Mannheimer Radverkehr weisen auf erhebliche Mängel und keinesfalls auf irgendwelche Fortschritte hin. Auf Basis der Zählstellendaten lassen sich derzeit auch keine validen Indikatoren finden, die auf eine gestiegene Nutzung des Fahrrads hinweisen. Diesbezüglich müssen die Ergebnisse der SrV-Erhebungen abgewartet werden, die im Verlauf dieses Jahres generiert werden.

Wenn Mannheim mit der bundesweiten Entwicklung mithalten möchte, dann müsste der Radverkehrsanteil im Modal Split ganz erheblich gesteigert werden. Im Moment weist jedoch vieles darauf hin, dass eine etwaige Zunahme des Radverkehrs – wenn überhaupt – eher durch exogene Einflussfaktoren (z. B. der bundesweite Fahrradtrend und die Energiekrise) erreicht werden könnte. Eine durchschlagend neue Radverkehrsinfrastruktur ist in Mannheim trotz aller Ankündigungen nicht in Sicht. Selbst Radschnellwege mit wirklich relevanten Streckenlängen und ohne Hindernisse lassen noch lange auf sich warten – oder werden schon im Vorfeld der Planung durch Kompromisse mit dem Autoverkehr ihrer Funktion enthoben.

In den letzten Monaten ist sogar ein Rollback in der Radverkehrspolitik zu beobachten. Am Speckweg wurden die Pläne für neue Radwege eingestampft und in der Innenstadt wurde ein Verkehrsversuch beendet, der dem Radverkehr mehr Platz eingeräumt hätte. Es ist ein bundesweit einmaliger und gleichzeitig skandalöser Vorgang, dass damit auch die einzige echte Fahrradstraße in Mannheim aufgehoben und wieder für den Autoverkehr geöffnet wurde. Dieser Rückzug ist mehr als nur symbolisch.


Erläuterungen zu den Daten

  • Seit 2018 liegen in Mannheim keine Daten zur Verkehrsmittelwahl (Modal Split) vor. In den bis 2018 vorliegenden SrV-Erhebungen wurden die Mobilitätsentscheidungen in Bezug auf ALLE Verkehrsmittel berücksichtigt, wodurch der Anteil des Radverkehrs ermittelt werden kann.

  • Werden die Daten der Radverkehrs-Zählstellen verwendet, lässt sich das Mobilitätsverhalten nur sehr eingeschränkt beurteilen, weil den Radverkehrsfrequenzen keine Referenzgrößen gegenübergestellt werden. Bspw. dürfte die insgesamt (nach Corona) gestiegene Mobilität sowohl die Zahl der Radfahrten als auch die der Autofahrten erhöhen. D.h. die Wirksamkeit der Radverkehrspolitik oder das „Fahrradklima“ einer Stadt lässt sich aus reinen Frequenzdaten nicht beurteilen.

Unterstütze unser Bürgerbegehren. Dein Rückporto übernehmen wir: https://innn.it/QuadRadEntscheid-Mannheim


Komm zu uns auf Signal


[1] 2023-05-20 [€] https://mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-stadtteile-ist-mannheim-eine-gute-stadt-fuer-radfahrer-_arid,2085916.html

185 Ansichten
bottom of page