Am 29.01.2023 gibt das Verkehrsministerium in einer Pressemitteilung bekannt: "Land ermöglicht Fahrradschutzstreifen außerorts". [1]
Wir halten diesen Vorschlag für anachronistisch und empfinden die Gefährdung, welcher der Radverkehr durch diesen Vorschlag ausgesetzt wird, als zynisch und inakzeptabel. Das Verkehrsministerium fordert "Überholabstand von zwei Metern muss eingehalten werden", allerdings werden Überholabstände zu Radverkehr von Seiten der Polizei nicht kontrolliert (in der Geschichte Mannheims ist uns eine (!) Kontrolle bekannt, welche wegen Regen abgebrochen wurde). Polizei in zivil mit Abstandsmesser? Fehlanzeige! Fordern kann man viel – sichere Infrastruktur wird so allerdings nicht geschaffen.
Es ist bekannt, dass in Deutschland Überholabstände weder kontrolliert, geschweige denn geahndet werden. Die fehlenden Kontrollen führen messbar [2] zur Nicht-Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Mindestabständen beim Überholen von Radverkehr. Dieser beträgt 1,5 m innerorts und 2 m außerorts. Da es in Deutschland keine wiederkehrenden Führerscheinprüfungen gibt und sich die wenigsten Autofahrer*innen zu Änderungen im Verkehrsrecht informieren, wissen dies leider die Wenigsten.
Im Fall eines symbolischen Streifens auf Landstraßen wird aus einem zu knappen Überholmanöver schnell eine Berührung mit tödlichem Ausgang. Die #Schutzstreifen, die in #Mannheim existieren, verdienen diese Bezeichnung wahrlich nicht und sind im Gegenteil kein Schutz, sondern vielmehr eine Einladung an den Kfz-Verkehr, Radverkehr mit völlig unzureichendem #Mindestabstand zu überholen. Die Autofahrer*innen legen die Streifen so aus, als könnten sie mit dem Auto direkt am Radverkehr vorbeifahren, solange sie die Linie nicht überfahren. Das ist klarerweise eine falsche Auslegung, jedoch so lange ein Überholen mit zu geringem Abstand in Deutschland weder geahndet noch verfolgt wird, wird sich im Autoland an dieser Problematik nichts ändern.
Eine sichere Benutzung von Landstraßen gibt es dann, wenn Kfz-Fahrer*innen den gesetzlichen Abstand einhalten. Das klappt übrigens in anderen Ländern ganz gut. Die Aggression auf deutschen Straßen und bewußte Unterschreitung von Mindestabständen, um teilweise bewußt Radverkehr zu gefährden versetzt uns immer wieder in ungläubiges Staunen.
Realität und Wunschdenken von Menschen am grünen Tisch
Ein trauriges und aktuelles Beispiel aus einem Polizeibericht vom 05.02.2023, ausgerechnet aus dem Bereich Polizeipräsidium Pforzheim, welches seit Jahren negativ auffällt, was die Problematik "Einhaltung von Mindestabständen von Kfz zu Radverkehr" auf Landstraßen angeht:
Der 52-jährige Lenker eines VW up befuhr die B 294 von Pforzheim kommend in Richtung Freudenstadt. Auf Höhe Urnagold übersah er einen in gleicher Richtung vor ihm fahrenden 37 Jahre alten Radfahrer und erfasste diesen mit der rechten Seite der Fahrzeugfront. Der Radlenker erlitt durch den Aufprall schwere Verletzungen und wurde mit einem Rettungshubschrauber in eine Klink verbracht werden. Dort verstarb der Radfahrer in den späten Abendstunden. Zum Unfallzeitpunkt trug der Radfahrer einen Fahrradhelm. [3]
Den Exkurs über beschönigende Polizeiberichte mit hochgradig absurdem Framing sparen wir uns an dieser Stelle. Ein Schutzstreifen hätte den Unfall genauso wenig verhindert wie der Helm, den der Radler trug. Wir möchten unser Mitleid mit den Hinterbliebenen des 37-jährigen Radfahrers zum Ausdruck bringen.
Wir veröffentlichen an dieser Stelle die
Stellungnahme des ADFC Baden-Württemberg [4]
Das Landesverkehrsministerium will die bislang nur innerorts zulässigen Radschutzstreifen in naher Zukunft auch auf Landstraßen weitgehend erlauben.
Aus Sicht des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) eine Maßnahme, die auf Kosten der Sicherheit von Radfahrenden geht und den Bau echter, sicherer Radinfrastruktur verhindert.
Radschutzstreifen, also eine gestrichelte Linie am Fahrbahnrand, sind für Radfahrende weder objektiv noch subjektiv sichere Radinfrastruktur. Dass der geplante Einsatz von Schutzstreifen außerorts auf Grundlage einer methodisch mangelhaft durchgeführten Untersuchung begründet wird, wird vom ADFC ebenso kritisiert wie die einseitige Interpretation der Daten und das Ignorieren bekannter Studienergebnisse. „Schutzstreifen bedeuten nachweislich keinen Sicherheitsgewinn für Radfahrende.“, kritisiert die ADFC-Landesvorsitzende Gudrun Zühlke den Vorstoß der Landespolitik.
Gute Radinfrastruktur muss sicher sein
Für den ADFC Baden-Württemberg hat die Sicherheit von Radfahrenden die höchste Priorität. „Nur bei geringen Kfz-Geschwindigkeiten, ausreichenden Überholabständen und geringer Kfz-Menge, möglichst ohne Schwerverkehr, ist Radfahren sicher.“, sagt Gudrun Zühlke. Dies muss auch für Schutzstreifen gelten und darf nicht zugunsten anderer Ziele wie schnelle, einfache Lückenschlüsse im Radnetz geopfert werden. „Wir möchten verhindern, dass Kommunen sich um Investitionen in sichere Radinfrastruktur drücken und stattdessen mit Farbe auf der Straße Sicherheit suggerieren“, gibt Zühlke zu bedenken.
Nachgewiesen und ignoriert: Schutzstreifen sind keine sichere Infrastruktur
Die vielzählig vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Schutzstreifen werden vom Land und in der zugrundeliegenden Studie der AGFK BW ignoriert und fahrlässig fehlinterpretiert.
Aus wissenschaftlichen Studien zu Abstandsmessungen bei Überholvorgängen von Kfz gegenüber Radfahrenden ergibt sich z.B., dass auf schmaler Radinfrastruktur, zu der Schutzstreifen gezählt werden, ein sicherer Überholabstand (außerorts 2 Meter) bei den meisten Überholvorgängen nicht eingehalten wird. Die Wahrscheinlichkeit gefährlicher Überholvorgänge steigt also auf Straßen mit markierten Schutzstreifen.
Aus dem Fahrrad-Monitor ist außerdem bekannt, dass (1) zu viel Verkehr, (2) rücksichtslose Autofahrende und (3) zu wenige separate Radwege die drei meist genannten Gründe für ein Gefühl der Unsicherheit im Radverkehr sind. Der nun geplante Einsatz von Schutzstreifen zementiert diese Hemmnisse – auch weil viele Autofahrer*innen „spurtreu“ überholen und sich lediglich an der gestrichelten Linie und nicht am vorgeschriebenen Überholabstand orientieren. Die Studie der AGFK BW, die dem Entschluss des Verkehrsministeriums zur Ausweitung der Anwendungsmöglichkeiten von Schutzstreifen zugrunde liegt, zeigt, dass sich 90% der Autofahrenden an Schutzstreifen nicht regelkonform verhalten. „Der Schutzstreifen ist nur theoretisch eine sichere Lösung für den Radverkehr. Statt Schutzstreifen zur sicheren Lösung zu verklären, müssten bei solchen Ergebnissen alle Alarmglocken im Ministerium läuten.“, sagt die ADFC-Landesvorsitzende.
Methodische Mängel & Fehlinterpretationen
Dass Schutzstreifen eine sichere Führungsform für den Radverkehr sind, beweist weder die von der AGFK BW vorgelegte Studie noch vorhergehende wissenschaftliche Untersuchungen in Deutschland. „Die Interpretation der Ergebnisse ist haarsträubend und wir gewinnen den Eindruck, dass man mit dieser Untersuchung unbedingt ein bestimmtes Ergebnis unterstreichen wollte.“ erklärt Gudrun Zühlke.
In der Bewertung werden sicherheitsrelevante Bewertungskriterien wie z.B. gefährliche Überholmanöver gleich stark gewichtet wie das Kriterium der steigenden Radverkehrszahlen. Darüber hinaus werden weiter rechts am Straßenrand fahrende Radfahrer und Radfahrerinnen positiv bewertet, obwohl die Sichtbarkeit von Radfahrenden nachweislich abnimmt, je weiter rechts am Fahrbahnrand gefahren wird. Außerdem werden Überholabstände mit mindestens 1,5 Metern Abstand als korrekt angenommen, obwohl außerorts ein Überholabstand von 2 Metern gilt – ein Wert, der bereits zum Zeitpunkt der Studie bekannt, nur noch nicht rechtsgültig war.
Wenig hilfreich ist aus Sicht des ADFC Baden-Württemberg auch der Vergleich von Radverkehrsmengen im Sommer und Herbst, ohne Berücksichtigung der Wetterverhältnisse und anderer äußerer Einflüsse. Bedauerlich ist, dass eine Befragung der Nutzerinnen und Nutzer der getesteten Infrastruktur nicht vorgenommen wurde.
Ziele der Landespolitik rücken in weite Ferne
Das Verkehrsministerium Baden-Württemberg suggeriert mit seiner Ankündigung zur Ausweitung der Anwendungsfälle für Schutzstreifen außerorts, dass mit Schutzstreifen schnell ein sicheres und attraktives Radnetz geschaffen werden kann und das Radverkehrsaufkommen damit gesteigert wird.
„Der Einsatz von Schutzstreifen ist allerdings nur ein vermeintlicher Lückenschluss im Radnetz des Landes. Außer Acht gelassen werden vom Land Aspekte der Radverkehrssicherheit und die damit verbundene Akzeptanz der Schutzstreifen. Ein Radverkehrsanteil von 20 Prozent wird damit nicht wahrscheinlicher,“ fasst Zühlke zusammen.
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