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Radverkehr im KlimaSchutzAktionsPlan: Ein Schritt zurück auf unverbindliche Allgemeinplätze


Wir veröffentlichen den Text des Bündnis Fahrradstadt Mannheim von René Leicht, der Stellung zum vom Gemeinderat beschlossenen KlimaSchutzAktionsPlan (KSAP) nimmt.


Wir waren schon mal weiter. Zumindest bei den Zielen und Ambitionen: Dem 2019 vom Gemeinderat beschlossenen Leitbild zufolge sollte das Fahrrad in Mannheim bis zum Jahr 2030 „das Fortbewegungsmittel Nr. 1“ werden (S. 9). Ausgerechnet mit dem nun vorliegenden „Klimaschutzaktionsplan“ entfernt sich die Stadt deutlich von diesem Ziel: Hier steht keine Zahl und kein Wort dazu, welche Rolle der Radverkehr künftig bei der Verkehrsmittelwahl spielen soll. Auch kein ernstzunehmender Plan, der ahnen lässt, wie die Verlagerung des motorisierten Verkehrs zum Radverkehr gelingt. Stattdessen finden sich viele Allgemeinplätze und eine kleine Liste unzureichender Maßnahmen, die ganz sicher nicht geeignet sind, den gewünschten Umstieg auf das Fahrrad zu erzeugen. Dafür wäre ein Radnetzangebot mit neuen und qualitativ hochwertigen Hauptrouten erforderlich, die ein sicheres und zügiges Radfahren erlauben. Diesbezügliche Vorschläge vom Bündnis Fahrradstadt Mannheim wurden im KSAP ignoriert.

I. Keine konkrete und evaluierbare Zielsetzung

Bisherige Zielgrößen sind unter den Tisch gefallen

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass die Stadt Mannheim einen Klimaschutzaktionsplan entwickelt. Aber mit Blick auf den möglichen Beitrag des Radverkehrs zeigt sich ein Widerspruch zwischen den wissenschaftlich begründeten Anforderungen und den jetzt für den Gemeinderat formulierten Zielen. Eine der Grundlagen für den CO2-Reduktionspfad war die 2021 vom Wuppertal Institut erstellte Energierahmenstudie (ERS). Demzufolge würde das Ziel der Klimaneutralität in Mannheim verlangen, den Radverkehrsanteil im Modal Split auf 34% zu erhöhen (S. 43). Den neuen Rahmenbedingungen zufolge jedoch nicht erst 2050, sondern schon im Jahr 2030. Entsprechend wird vom Institut auch in den KSAP-Modellberechnungen davon ausgegangen, dass „sich bis 2030 die Anzahl der Wege verdoppelt, die mit dem Fahrrad zurückgelegt werden“ (S. 168), was im Binnenverkehr sogar einen Radverkehrsanteil von 40% erfordern würde. Merkwürdigerweise ist davon aber im Kapitel „MIV auf den Fahrradverkehr verlagern“ überhaupt keine Rede mehr. Denn hier wird dann ein Modal-Split-Anteil von nur 26% und dies dann lediglich als ganz unverbindliches Rechenbeispiel erwähnt.

Die Modal-Split-Quoten sind jedoch kein bedeutungsloses Zahlenspiel, sondern als Zielvorgaben unverzichtbar. Dies wird im KSAP durchaus zugestanden, denn schließlich indiziert der Modal Split den Erfolg klimapolitischer Anstrengungen auf kommunaler Ebene (S. 119). D.h. der Umfang und Wirkungsgrad von konkreten Maßnahmen hängt von den Zielvorgaben ab: Je niedriger der angestrebte Radverkehrsanteil, desto geringer ist der Druck wirkungsvolle Maßnahmen umzusetzen und desto weniger Rückhalt haben entsprechende Forderungen.

CO2-Einsparpotenzial des Radverkehrs wird erkannt aber kaum genutzt

Es ist vollkommen unverständlich, warum der KSAP nicht wenigstens seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird und konkrete Ziele in der Radverkehrspolitik einfordert. Schließlich wird hier ja argumentiert: „Der Verkehrssektor stellt in Hinblick auf den Klimaschutz eine besondere Herausforderung dar, da es [...] nicht gelungen ist, seine CO2-Emissionen [...] in bedeutendem Umfang zu senken. Während die zentralen Stellschrauben zur Fahrzeug- und Antriebstechnologie auf EU- und Bundesebene gestellt werden [...], fallen die Strategiebereiche Vermeidung von motorisierten Verkehren und deren Verlagerung auf kohlenstoff-arme und kohlenstoff-freie Verkehrsmittel originär in kommunale Zuständigkeit“ (S. 110f.). Eigentlich wird der Radverkehr deshalb als eine der „TOP-Maßnahmen“ im KSAP identifiziert, „denen eine besonders hohe Priorität auf dem Weg zur Klimaneutralität beigemessen wird“ (V535, S. 11). Das CO2-Einsparpotenzial wird sogar höher als beim ÖPNV eingeschätzt! (S. 116).

All diesen Erkenntnissen steht jedoch die Feststellung gegenüber, dass im KSAP keine konkreten Ziele sowie nur vergleichsweise unspezifische oder harmlose Maßnahmen aufgelistet sind (siehe im Folgenden).

Viel Spielraum für verkehrspolitische Beliebigkeit

Relativierend wird nun teils auf den Beschlusstext der Gemeinderatsvorlage verwiesen, in welcher der KSAP lediglich als „handlungsleitende Konzeption“ bezeichnet wird. In der Begründung der Beschlussvorlage (V535/2022) wird auf den „flexiblen Charakter“ des KSAP verwiesen. Doch niemand sollte glauben, dass alles Weitere und vor allem die konkreteren Schritte durch den Masterplan Mobilität 2035 geregelt würden: Die beauftragten Gutachter haben wiederholt und zuletzt sogar öffentlich betont, dass sie hinsichtlich des Radverkehrsanteils im Modal-Split keine Zielvorgabe empfehlen werden. Die Debatte hat bereits gezeigt, dass sich die Ambitionen von Gutachtern und Verkehrsplanung auf der einen Seite und die der Rad-Community auf der anderen Seite enorm unterscheiden.

Konkrete Ziele – auf die sich das Bündnis Fahrradstadt berufen kann – können daher (insbesondere in Anlehnung an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts) nur aus den klimapolitischen Vorgaben abgeleitet werden. Dies wird letztendlich auch im KSAP „theoretisch“ so gesehen: „Damit die Kommunen ihren Handlungsspielraum für ein klimaschonenderes Mobilitätssystem auch ausschöpfen können, braucht es vor allem verbindliche Zielvorgaben einer Klimaneutralität der öffentlichen Hand bis zum Jahr 2030" (S. 111). Dies ist auch deswegen wichtig, weil die Wirksamkeit der Maßnahmen ja ohne vorgegebene Ziele überhaupt nicht evaluiert werden kann. Eine solche Wirkungskontrolle ist laut Beschlussvorlage zwar vorgesehen. Aber wie soll das gehen, wenn kein Radverkehrsanteil benannt wird?

II. Keine analysebezogenen und wirksamen Maßnahmen

KSAP-Maßnahmen für den Radverkehr: Ein Blankoscheck für „Weiter so“?

Im KSAP lässt die Überschrift „Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur“ zunächst hoffen. Doch mit der nachfolgenden Konkretisierung wird schnell deutlich, dass hier lediglich die Fortsetzung der bisherigen Praxis geplant ist. Allgemeinplätze wie „Verbesserung bestehender Wege“ und „Neuanlage dort wo Netzlücken bestehen“ sind in ihrer Unverbindlichkeit nicht zu übertreffen. Dies sind Formulierungen, die alles und nichts beinhalten und welche auch sämtliche Städte ohne Klimaschutzaktionsplan und ohne Climate City Contract unterzeichnen könnten. Will man damit die EU überzeugen?

Es ist doch ganz offensichtlich, dass sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber existieren, was genau eine Verbesserung bestehender Wege und die Schließung von Netzlücken bedeuten könnte. Unter der jetzt formulierten Prämisse gilt: Was immer die städtische Verkehrsplanung auch macht - und selbst wenn es nur die Asphaltierung eines bestehenden Radwegs oder die Einrichtung von ein bis zwei Fahrradstraßen wäre: Es würde sich in jedem Fall mit den Vorgaben des KSAP decken. Und damit wären alle weitergehenden Forderungen auf Basis klimapolitischer Ziele vom Tisch. Was hier im KSAP steht ist nichts anderes als ein Blankoscheck zur Legitimierung unzureichender Maßnahmen, die dann auch noch durch die Übereinstimmung mit dem KSAP klimapolitisch geheiligt werden. Bei allem kommt hinzu, dass nun in der Diskussion des Masterplans Mobilität jeglicher Druck entzogen wird, diesen in Übereinstimmung mit klimapolitischen Zielen zu entwickeln.


Schulterklopfen statt Fehleranalyse

Mangels Fehleranalyse werden im KSAP keinerlei Versäumnisse aufgezeigt und daher auch nicht die richtigen Schlussfolgerungen für die Zukunft gezogen. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass die bisherigen Maßnahmen nichts daran geändert haben, dass das Fahrrad in Mannheim seltener genutzt wird als in vergleichbaren Städten. Unerwähnt bleibt auch, dass selbst die geringe Zunahme nicht etwa zu weniger Autoverkehr führte, sondern zu Lasten des Fußverkehrs ging. Insgesamt also ein Nullsummenspiel für den Fuß- und Radverkehr aus welchem Lehren gezogen werden müssten.

Allerdings wurden in die Maßnahmenliste weder die Vorschläge von Bündnis Fahrradstadt aufgenommen noch der Hinweis (bspw. der Verkehrsgutachter) aufgegriffen, dass in Mannheim offensichtlich hohe Hürden bestehen, das Fahrrad nicht nur innerhalb des eigenen Wohnquartiers, sondern auch zwischen den Stadtteilen zu nutzen. Zusammengenommen weist dies darauf hin, dass Mannheims Radnetz zu wenig attraktive Hauptrouten besitzt auf denen auch längere Strecken zurückgelegt werden können. Da immer mehr Menschen über ein Fahrrad mit elektrischer Unterstützung verfügen und hierfür adäquat ausgebaute Radwege brauchen, stellt die unzureichende Radverkehrsinfrastruktur ein besonderes Hindernis für die Verkehrswende dar.

Aus diesen Gründen war es ein zentrales Anliegen von Bündnis Fahrradstadt, im KSAP festzuhalten, dass der zentrale Schlüssel zur Erhöhung des höheren Radverkehrsanteils im massiven Ausbau der Radnetzstruktur zu suchen ist. Mit Bezug hierauf wurden auch konkrete Vorschläge zur Netzgestaltung unterbreitet, die jedoch keine Berücksichtigung fanden.

Fazit

  • Die Verbände und Initiativen im Bereich Mobilität wurden entgegen der Behauptung der Verwaltung (V535/2022) in keiner Weise an der Erstellung des KSAP beteiligt. Die Vorschläge der Rad-Community wurden vollkommen ignoriert und es wurde auch keinerlei Kontakt aufgenommen.

  • Durch den vom Gemeinderat in dieser Form beschlossenen KSAP wurden in widersinniger Weise alle übergeordneten Zielvorgaben für den Mannheimer Radverkehr obsolet bzw. wurden zu beliebig einsetzbaren Größen.

  • Auf der Handlungsebene werden im KSAP Maßnahmen aufgeführt, die an Unverbindlichkeit nicht zu übertreffen sind und in ihrer Allgemeingültigkeit auch von allen Städten ohne Klimaschutzziele unterzeichnet werden könnten. Dies ist kein Plan, der die EU überzeugen kann.

  • Jede ablehnende Haltung der Politik gegenüber Forderungen im Radverkehr lässt sich künftig durch den Eindruck legitimieren, die bisher geplanten Maßnahmen würden vollkommen ausreichen, weil sie im Einklang mit dem KSAP zu sehen sind.


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